Warum “die Crowd“ besser Darts spielt als Experten!
Eine große Zahl Menschen hat ein besseres Urteilsvermögen als einzelne Experten. Die „Weisheit der Vielen“ ist wissenschaftlich bestätigt. Die Chancen für Firmen im deutschsprachigen Raum sind groß – wie die Praxis zeigt.
Viele Unternehmen scheuen kaum einen Aufwand, um eine richtige Entscheidung zu treffen. Aber die Wenigsten beschäftigen sich mit der Frage, wie man gute Entscheidungen trifft –althergebrachte Mechanismen werden bemüht: Im Zweifel entscheidet der Vorgesetzte.
Der Journalist James Surowiecki hat 2004 mit seinem Buch “Wisdom of the Crowd“ nicht nur einen Bestseller gelandet, sondern den Blick der Öffentlichkeit erstmals auf die Fähigkeiten der Crowd gelenkt. Er beschreibt, dass Gruppenentscheidungen besser sein können als Entscheidungen einzelner.
2006 hat der Wired Journalist Jeff Howe das Thema aufgegriffen und den Terminus Crowdsourcing geprägt – den „Einkauf von einer Menschenmenge“.
Der Wissenschaftler Philip Tetlock belegt, dass man mit der Crowd nicht nur einkaufen kann, sondern viele Menschen bessere Vorhersagen treffen, als Einzelne von uns. In seinem New York Times Bestseller „Superforecasting“ aus 2015 zeigt er, was diejenigen, die wirklich verlässliche Prognosen und damit gute Entscheidungsgrundlagen abgeben alles tun, um Superforceaster zu sein. Trotz langjähriger Erfahrung misstrauen diese Personen Ihrem Bauchgefühl, sondern recherchieren gründlich und passen bei Neuigkeiten ihre Aussage kontinuierlich in kleinen Schritten an. Die wenigsten Experten gehen so vor, weswegen Philip Tetlock schreibt:
„Der durchschnittliche Experte ist ungefähr so präzise wie ein Darts spielender Schimpanse.“
Bild: Katia Fouqet, Jacqueline Stevens, New York Times, 23. Juni 2012
und:
Einige hundert gewöhnliche Menschen und ein wenig Mathematik können mit Millionenaufwand unterstützte, professionelle Analysten schlagen.“
Seit einigen Jahren beraten wir unsere Kunden dabei, die Crowd für sich zu nutzen. Denn Jedes Unternehmen hat ein Netzwerk aus gewöhnlichen Menschen: Kunden, Mitarbeitern, oder Partnern – es hat eine Crowd!
Wir sprechen von Crowdeverything statt von Crowdsourcing, weil es nicht nur darum geht, von vielen Menschen einzukaufen. Dieser Artikel zeigt, welche Erfahrung wir mit diesen Projekten gesammelt haben, und beschreibt sechs Wege, um die „Weisheit der Vielen“ unternehmerisch zu nutzen.
Unsere Checkliste „Sechs Wege wie Netzwerke Experten schlagen” fasst dies in einem PDF zusammen:
Crowdsourcing
Crowdsourcing bedeutet, von der Masse einzukaufen. Es gibt große Internet-Plattformen, die Anbieter mit Auftraggebern (Suchenden) zusammenbringen. Jedes Unternehmen, dass sich auf diesen Plattformen engagieren möchte, kann das tun.
Zwei Motive bringen Suchende und Teilnehmende zusammen: Entweder ein großes Angebot, oder ein sehr kleines. Es gibt viele Designer – das verleitet dazu Kosten senken zu wollen. In Forschung und Entwicklung weiß man oft nicht, wer ein Problem lösen könnte. Programmierer schreiben bei Hackathons tollen Code. Crowdsourcing hilft, Menschen zu finden, die eine Lösung haben.
Noch vor wenigen Jahren stand Crowdsourcing stellvertretend für Ausbeutung – man versteht unter Crowdworkern „digitale Tagelöhner“. Crowdsourcing war radikal auf den geringsten Preis ausgerichtet und unfair. Weltweite Teilnehmer sorgen für hohen Preisdruck. Geht es um Kreativität erhält nur der Gewinner eines Auftrags Geld für seine bereits erbrachte Leistung. Mittlerweile gibt es viele Spielarten, die nicht nur auf günstigem Einkauf beruhen.
Einige Firmen veranstalten Ideenwettbewerbe um sich eine „Meinung“ einzukaufen. So ruft Lays immer wieder dazu auf, neue Geschmacksrichtungen für Chips zu erfinden und lässt diese Ideen auch gleich von den Teilnehmern bewerten – so erhält die Firma direkte einen Einblick, wie lukrativ eine neue Röschkartoffelsorte sein könnte.
Solche Ideenwettbewerbe liefern Durchschnittsmeinungen. Rezepte, die auf den ersten Blick nicht überzeugen haben keine Chance und werden aussortiert.
Crowdfunding
Die Crowd bietet die Chance, Geld aufzutreiben – für neue Projekte, Produkte, Bücher oder einfach zum Renovieren von Ferienanlagen.
Crowdfunding hat in den letzten Jahren für Furore gesorgt. Aber die wenigsten Firmen nutzen die Erkenntnisse. Natürlich kann man auf den bekannten öffentlichen Plattformen wie Kickstarter auch als Firma eine Kampagne initiieren, aber würden diese Communities Firmen unterstützen?
Eigene Mitarbeiter oder Kunden sind dazu bereit. Richtig gefragt und mit Entscheidungsbefugnis und Möglichkeiten sich einzubringen ausgestattet, können Menschen firmeneigenes Crowdfunding erfolgreich machen. So hat ein großer Nahrungsmittelkonzern Mitarbeitern im Innovationsprozess die Möglichkeit gegeben, sich an der Entwicklung einer Idee einzukaufen und so Mitglied des Teams zu werden.
Innovationsmanagement
Viele Firmen versuchen durch einen strukturierten Innovationsprozess zu mehr Innovation zu kommen, und vor allem besser planen und kontrollieren zu können.
Dabei kann die Crowd helfen: Mitarbeiter finden gute Ideen und sind auch bereit, diese bis zur Umsetzung hin zu unterstützen. Manche Firmen nutzen dies, wie z.B. 3M mit der 15%-Regel, die es Mitarbeitern erlaubt mit 15% ihrer Zeit eigene Projekte durchzuführen.
Ein weltweit führender Entertainment-Konzern suchte nach einem neuen Serienformat für einen Spartenkanal. Ein firmenweites „Crowdsourcing von Ideen“ fand schließlich das Format, das umgesetzt wurde. Eine Empfangsdame und ein Marketingmanager entwickelten sie – an unterschiedlichen Standorten. Ohne Unterstützung durch ein Ideenmanagement-System hätte sich diese Kollegen nie kennengelernt.
Auch mit Lieferanten ist dies möglich. Oft stößt der Einkauf von Produkten an Grenzen – noch billigere Produkte gehen zu Lasten der Qualität. Es hilft, Lieferanten bei der Gestaltung neuer Produkte einzubeziehen. Lieferanten, die vertrauensvoll zusammenarbeiten sind in der Lage die sinnvollste Produktkonfiguration zu finden und können wertvolle Tipps zur Gestaltung geben.
Co-Creation
Mit Kunden zusammen Neues zu schaffen ist eine gute Möglichkeit mit Innovatoren zusammen zu arbeiten – mit Lead-Usern. Dieser von dem amerikanischen Professor von Hippel geprägte Begriff meint Firmen, die bestehende Produkte so verändern, dass sie für Ihre Zwecke passen, oder die neue Produkte selbst entwerfen. Übertragen auf Menschen bedeutet es, dass man mit wenigen Menschen, mit wenigen „Innovatoren“ zusammenarbeitet.
Diese Menschen vertreten keine Durchschnittsmeinung, sondern Ihre persönlichen Ziele. Es sind Querdenker, die eine bestimmte Vorstellung davon haben, was ein Produkt oder einen Service können muss und nicht aufhören zu entwickeln, bis sie am Ziel sind. Bei Co-Creation geht es nicht um Quantität, sondern um Qualität.
So hat ein großer Logistik-Konzern zusammen mit Chirurgen ein Transportbehältnis für die Transplantation von Organen geschaffen, das optimal für die kostbare menschliche Fracht ausgelegt ist.
Kaizen
Wenn ein IT-System eingesetzt wird, um Menschen zusammen zu bringen, dann können die Spuren der Teilnehmer ausgewertet werden. Natürlich können Arbeitnehmer so kontrolliert werden, aber der Trend geht von der Kontrolle zur Motivation der eigenen Crowd.
Nicht nur Ranglisten der aktivsten Kollegen können so erzeugt werden, sondern es kann gezeigt werden, was die Belegschaft interessiert.
Kontinuierliche Verbesserung kann nachhaltiger werden, wenn sie als Philosophie, als ‚Kai zen’ verstanden wird: ewige Veränderung. Wer so denkt organisiert sich selbst, auch ohne Gruppenarbeit oder Workshop.
Ein internationales Bahnunternehmen hat sein Ideenmanagement-System mit bereits umgesetzten Ideen geladen. So fanden Bahnhofvorsteher heraus, was wie andere Bahnhöfe bereits mit Kartenautomaten arbeiteten; die Warteschlangen vor den Automaten wurden deutlich kürzer – durch dezentrale Organisation ohne Weisung von oben.
Prognosemärkte
Prognosemärkte oder Prediction Markets werden vielfach noch als esoterisch belächelt. Die Meinung vieler Menschen einzuholen, und deren Meinung über das Votum von Experten zu stellen ist ein radikaler Schnitt mit unserem Selbstverständnis. Aber Vorreiter such nicht nur die Meinung von Vielen – sie lassen bereits heute viele Menschen Entscheidungen so treffen.
Die Erkenntnisse von Experten wie von Philip Tetlock werden durch die Praxis bestätigt. Der Ausgang der Wahl zum Präsidenten 2012 in den USA wurde beispielsweise durch die Crowd genauer vorausgesagt als durch klassische Meinungsforscher. Diese Erkenntnis wird Meinungsforschung, Marktforschung und Zukunftsforschung verändern.
Eines der weltgrößten Pharmaunternehmen lies Mitarbeiter darüber abstimmen, welche drei Medikamente mit jeweils einer Milliarde Euro Budget entwickelt werden sollten. Die Abstimmung war über einige Monate hinweg möglich, und jeder einzelne konnte sein Votum immer wieder anpassen. Eine Kurve zeigte die Spitzenreiter. Das Votum der Crowd änderte sich mit der Nachrichtenlage, aber nach einige Zeit wurde es stabil. Die drei entwickelten Medikamente sind heute alle profitabel – das ist äußerst ungewöhnlich bei neuen Produkten, und ein Ergebnis des Vertrauens in die eigenen Mitarbeiter.
Solche Abstimmungen kann man mit unterschiedlichsten Konzepten durchführen: Bewertungen rein nach von den Teilnehmern vergebenen Punkten oder durch direkten Vergleich in Ideenwettbewerbe oder –turnieren, das Verhandeln an „Grünen“ Tischen bis ein Vorschlag gewinnt, oder die Einführung von Prognosemärkten. Diese erfassen das Abstimmungsverhalten der Crowd über simulierte Investitionen. Jeder Teilnehmer erhält ein Kontingent an Stimmen (oder Geldstücken), die er auf eine oder mehrere Alternativen verteilen kann. Der sich ergebenden „Kurs“ einer Alternative ist immer nur eine Momentaufnahme.
Drei Faktoren entscheiden über den Erfolg
Wir sehen drei Erfolgsfaktoren, die erfüllt sein müssen, damit die Crowd besser trifft als ein Dartspieler:
Community
Die Gemeinschaft der Teilnehmer muss passend gewählt sein. Größe ist nicht mehr alles. Menschen arbeiten nur mit, wenn sie Interesse haben.
Kleine Gruppen können noch persönlich angesprochen und von dem Sinn eines Unterfangens überzeugt werden. Bei großen Gruppen bleiben unpersönliche Kontakte, so dass es wesentlich schwerer ist, für das nötige Engagement zu sorgen.
Unser Partner Qmarkets hat uns Analysen bisheriger Software-Crowdkampagnen zur Verfügung gestellt. Wir wissen, dass die Beteiligungsquote mit der Anzahl der Teilnehmer sinkt.
Es kann also durchaus sinnvoll sein, mit einer kleinen Gruppe zu arbeiten um den gegenseitigen Austausch zu fördern – große Gruppen sollte man ansprechen, wenn man ein Thema hat, das viele Menschen interessiert.
Fokus & Leidenschaft
Das Interesse der Teilnehmer hängt nicht vom betriebenen Marketing ab. Natürlich sollte für eine Kampagne geworben und transparent informiert werden. Darüber hinaus sollten die angesprochenen Menschen auch intrinsisches Interesse mitbringen.
Das kann man steuern, indem man sorgsam auswählt, was man Menschen fragt, bzw. welche Menschen sich für die eigene Frage interessieren.
Die entscheidende Frage ist: Wo sind die Menschen mit denen Sie kommunizieren wollen? Viele der bestehenden Communities in Foren oder echten Netzwerken eint ein Interesse. Dies muss man verstehen – es ist wichtig zu wissen, wie Menschen denken, wie sie „ticken“. Die am besten geeignete Plattform kann das Forum einer Nische sein. Im Unterschied zu selbst betriebenen Angeboten erreicht man dort nicht die eigenen Kunden, sondern Kunden dieser Plattformen.
Es zeigt sich, dass nur solche Plattformen erfolgreich sind, die eine klare Ausrichtung haben. Nur so kann man eine Communities aufbauen, und am Leben erhalten. Daran scheitert zum Beispiel das Innovationskraftwerk der deutschen Industrie und der Bundesregierung.
Social Media-Netzwerke haben einen eigenen Charakter: bei Facebook und WhatsApp kennt man sich, wer twittert will eher Menschen kennenlernen. Linked-In ist wie eine Fach-Messe und Google+ ein wenig von allem.
Außerdem ist wichtig, wie sie motivieren. Durch die Auswertung von Kampagnen wissen wir auch, dass Prämien, ob monetär aus Sachprämien, dazu führen, dass sich mehr Menschen beteiligen. Allerdings wollen diese die Prämie meist für sich – die Kollaboration und damit die Qualität der Beiträge sinkt.
Ehrlichkeit & Umsetzung
Der größte Motivator für Menschen ist Erfolg, wie Teresa Amabile, eine Harvard Professoren herausgefunden hat. Aber die wenigsten Firmen verstehen dies zu nutzen.
Sie haben die vorgeblichen Katastrophen wie den Brathähnchenduft von Peter Breuer für die „Mein Pril – mein Stil“ Kampagne von Henkel für ein neues Etikett Ihre Geschirrspülflaschen, oder oder den Bud Spencer-Tunnel von Schwäbisch-Gmünd vor Augen. Henkel änderte die Bedingungen des Wettbewerbs, weil sie kein nach Brathähnchen riechendes Spülmittel und kein Monster drucken wollte, das Bakterien killt. Die Stadt war mit dem von den Bürgern vorgeschlagenen Namen unzufrieden und benannte den Tunnel anders. Beides löste einen Aufschrei der Empörung aus und schreckte weitere Unternehmen offenbar ab. Dabei gibt es viele Erfolgsbeispiele der Crowd wie die Entwicklung neuer Geschmäcker für Schokoladen von Ritter Sport oder Kartoffelchips von Lays.
Versprechen, die sie abgeben, sollten sie einhalten. Sonst können sie es sich sparen mit der Crowd zu arbeiten.
Den Artikel finden Sie zusammengefasst in unserem PDF „Sechs Wege wie Netzwerke Experten schlagen” wieder:




