Wir glauben Bescheid zu wissen über Innovation, aber viele Annahmen entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als nicht richtig. In der Folge überschätzt man sich, unterschätzt den nötigen Aufwand oder handelt in gutem Glauben falsch. Dieser Artikel zeigt zehn Mythen der Innovation, die Sie überwinden sollten.
In der bekanntesten Studie zum Vergleich des Innovationserfolgs verschiedener Länder, den Global Innovation Index 2019, ist die Schweiz seit Innovationsweltmeister; Deutschland und Österreich liegen nur im Mittelfeld. Wir sind davon überzeugt, dass das Verständnis der nachfolgenden Mythen hilft, innovativer zu werden.
- Innovation bedeutet brandneu
- Wir forschen und entwickeln – das reicht
- Innovation? Das machen meine Leute!
- Wir hatten nur noch keine gute Idee!
- Mitarbeiter sind ein Kostenfaktor!
- Experten haben meistens Recht
- Wir wissen was unsere Kunden wollen!
- Eingespielte Teams arbeiten am Besten
- Wenn, dann machen wir es richtig
- Ein guter Projektplan garantiert Innovation
Die trockene Materie habe ich mit einigen Sprüchen und Zitaten angereichert.
1, Innovation bedeutet brandneu
Innovation heißt wörtlich „Neuerung“ oder „Erneuerung“. Das Wort ist vom lateinischen Verb innovare (erneuern) abgeleitet. Eine Erfindung (Invention) ist noch keine Innovation sondern zunächst nur neu. Zur Innovation wird eine Erfindung erst, wenn diese nützlich ist, von Menschen genutzt wird und einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leistet.
Umgekehrt kann eine Kopie, ein Plagiat, eine Imitation, innovativ sein, wenn das Produkt genutzt wird und das Leben verändert. Ein schönes Beispiel dafür ist das MP3-Protokoll, das ursprünglich vom deutschen Fraunhofer-Institut IIS entwickelt wurde. Erst Plattformen wie Napster und letztendlich Apple machten mit MP3 komprimierte Musik populär und damit zu einer Innovation.
2, Wir forschen und entwickeln – das reicht
Forschung & Entwicklung sowie eine hohe Zahl Patente gelten als Garant für Innovation. Aber: Es gibt keine Korrelation zwischen Innovation und der Anzahl von Patenten oder dem Budget für Forschung & Entwicklung. Bei weitem nicht jedes Patent mündet in ein Produkt, das angeboten und nachgefragt wird. Der Trend, heute mehr Patente anzumelden, hilft auch nicht.
Die Unternehmenberatung strategy&PWC führt seit Jahren die Studie Global Innovation 1000 durch, die immer wieder aufs neue zeigt, dass die Ausgaben für Forschung & Entwicklung unabhängig von der wahrgenommenen Innovation eines Unternehmens sind.
Die Bertelsmann Studie Innovative Milieus – Die Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen beruht auf einer Befragung von 1000 deutsche Unternehmen. Konservative Innovationen und Technologieführer machen in Deutschland nur zehn Prozent aller Innovationen aus. Und doch bestimmen sie die öffentlich Wahrnehmung, weil sie viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgeben, damit Patente zu erzeugen und das regelmäßig gemeinsam mit der Politik feiern.
Es kommt darauf an, wie man Erkenntnisse aus Forschung und Entwicklung verwendet. Fuji ist beispielsweise der einzige Überlebende der einst so großen Filmbrache mit den anderen Marktführern Kodak Eastman und Agfa. Als die Umsätze aus diesem Geschäft aufgrund der Verbreitung digitaler Fotografie wegbrachen besann sich Fuji darauf, dass das eigene Wissen auch in anderen Branchen anwendbar ist. Heute macht Kosmetik einen großen Teil des Umsatzes von Fuji aus, weil hier viele chemische Prozesse nahe am Film liegen.
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3, Innovation? Das machen meine Leute!
Innovation wird in vielen Unternehmen delegiert oder verordnet. Dies ist brandgefährlich, denn noch nie haben sich Marktbedingungen so schnell geändert wie heute. Das Internet, die Digitalisierung, die Energiewende, eine mündigere Bevölkerung, Neurowissenschaften – die Liste von Einflussfaktoren ist lang.
Heute geht derjenige ein hohes Risiko ein, der keine Innovationskultur hat, keiner Innovationsstrategie folgt und keine Innovationsarchitektur aufgebaut hat. Innovation muss zentraler Bestandteil jedes Unternehmens sein. Kein Weltkonzern war immer groß. Alle wurden einmal gegründet und sind mit Innovationen gewachsen.
Eine Innovationsabteilung ist nicht erforderlich. Sicher, es gibt Innovatoren, die mit solchen Abteilungen arbeiten, aber von den Unternehmen, die als die innovativsten Unternehmen der Welt gelten, ist dies nicht bekannt. Dort ist Innovation wesentlicher Bestandteil der Unternehmensphilosophie und betrifft letztlich alle Mitarbeiter.
Das amerikanische Technologieunternehmen W. L. Gore entschied, eine “Innovationsdemokratie” zu kultivieren: Jeder Mitarbeiter sollte zehn Prozent seiner Zeit damit verbringen, über neue Einsatzgebiete für das einzigartige Material, das das Unternehmen entwickelt, auszudenken. Heute ist Gore nicht mehr „nur“ der Produzent von Gore-Tech sondern in vielen Branchen zu Hause.
Nicht Innovationsmanagement ist das Gebot der Stunde, sondern Innovationen im Management.
4, Wir hatten nur noch keine gute Idee!
Viele glauben, sie müssten nur auf gute Ideen warten, um innovativ zu sein. Es wird verdrängt, dass sich Archimedes lange den Kopf zerbrach, bevor er in der Badewanne den Schlüssel zur Überprüfung der Krone des Königs Hieron fand. Linus Pauling aber ist bestätigt:
Die beste Methode, eine gute Idee zu bekommen ist, viele Ideen zu haben!
Linus Pauling
Wer viele Ideen erzeugt und schlechte aussiebt, erzeugt mehr und bessere Ideen als Menschen, die sich von vornherein auf Qualität konzentrieren. Ideen haben will geübt sein (siehe unseren Artikel „Das Geheimnis der guten Idee“). Es reicht schlichtweg nicht, ab und zu ein Brainstorming durchzuführen, oder sich „off-site“ zu treffen – Austausch ist wichtig – nachdem Sie Ideen hatten.
Zudem ist es ein Märchen, dass Innovation immer mit Kreativität beginnt. Abhängig von der Art der Innovation kann bereits die verbesserte Wahrnehmung ausreichen (denken Sie an Röntgen und seinen zufälligen Fund der X-Strahlen), Hilfestellung in andern Branchen zu suchen (Guttenberg benutzte Weinpressen zum drucken) oder systematisch zu analysieren.
Genie ist ein Prozent Inspiration und neunundneunzig Prozent Transpiration.
Thomas Edison
5, Mitarbeiter sind ein Kostenfaktor!
Viele Menschen sind den gesamten Tag angespannt, um Ihr Arbeitspensum zu schaffen – sie entspannen nicht.
Menschen haben viele gute Ideen, wenn sie entspannt sind und Regeltätigkeiten ausführen, wie z.B. den Rasen mähen oder duschen. Dann nutzt unser Geist freie Kapazitäten und kombiniert Wissen zu neuen Ideen (Ideensynthese). Einige davon sollten Sie umsetzen, denn:
Fortschritt ist der größte Motivator!
Teresa Amabil
Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten sind die beste Quelle für Innovationen, die Sie haben.
6, Experten haben meistens Recht
Oft liegen Experten mit Ihren Einschätzungen richtig. Genauso oft liegen Sie falsch, denn die Rahmenparameter eines Problems ändern sich schnell. Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman schreibt in „Schnelles Danken, langsames Denken“, dass etwa 10.000 Stunden konzentrierte Übung erforderlich sind um eine guter Schachspieler zu werden – in einem Spiel, dessen Rahmenbedingungen immer gleich bleiben.
Philipp Tetlock zeigte in „Superforecasters“, dass nur wenige Menschen bei Vorhersagen einen Würfel schlagen können. Sie können genauso gut Ergebnisse erzielen, wenn Sie viele Menschen, die Crowd, fragen. Aber:
Innovativ sein heißt, da zu sein, wo vorher niemand war.
Reinhold Messner
Vielleicht hilft ihnen weiter, dass Gegenteil von dem zu tun, was demokratische Gremien empfehlen. Vielleicht hilft ihnen ein mathematischer Algorithmus und künstliche Intelligenz. Oder doch Experimente?
Innovation aber ist darwinistisch, nicht demokratisch.
7, Wir wissen was unsere Kunden wollen!
Unternehmen müssten Ihre Kunden kennen – Vertrieb und Service stehen im täglichen Kontakt mit Kunden. Damit man weiß, was diese wollen, führen viele Marktforschung durch und fragen Kunden:
Sie können nicht einfach Kunden fragen, was sie wollen und versuchen, das zu fertigen – wenn Sie das gebaut haben, dann wollen sie etwas Neues.
Steve Jobs
Viele Kunden können sich Neues schlecht vorstellen und müssen es erproben und kennen lernen. Auch ist es schwer, den Nutzen eines geplanten Produkts oder Service zu bestimmen. Aber Menschen zu verstehen und den Nutzen einer Innovation für sie zu erproben ist ein Schlüsselelement der Innovation.
8, Eingespielte Teams arbeiten am Besten
Arbeitserfahrung ist wichtig. Deshalb stellen Unternehmen heute nur die Person ein, die über einschlägige Erfahrung verfügt und zum Team passt.
Aber: interdisziplinäre und neu zusammengestellte Teams sind innovativer als solche, die lange zusammen arbeiten und gut harmonieren. Und dennoch setzen sie Innovationen genauso verlässlich um.
Geschäft muss mitreißen, es muss Spaß machen und es muss Ihre kreativen Instinkte ansprechen.
Richard Branson, Virgin
Wer lange zusammenarbeitet und sich nur mit einer Branche und einer Funktion beschäftigt, wird routiniert. Routine führt zu Effizienz, nicht zu Innovation.
9, Wenn, dann machen wir es richtig
Wir investieren viel Zeit für ausgefeilte Pflichtenhefte und technisch perfekte Lösungen und wundern uns, wenn diese selten gekauft werden.
Das Richtige tun, statt die Dinge richtig tun!
Peter Drucker
Planungsfehler wiegen schwer. Oft führt intensive Planung aber zu hoher Komplexität. Deshalb sollen wir ein „minimales Produkt“ planen – Produkte oder Services beschreiben, die den Hauptnutzen für Kunden liefern.
Ich schreibe Dir einen langen Brief, weil ich keine Zeit habe, einen kurzen zu schreiben.
Je nach Quelle: Voltaire, Goethe, Twain, Marx, Pascal
Und wir sollten Ambiguität tolerieren – was richtig ist, kann auch falsch sein wenn man einen Umstand aus anderem Blickwinkel betrachtet.
10, Ein guter Projektplan garantiert Innovation
Menschen neigen zu Optimismus. Gerade Großprojekte werden systematisch unterschätzt. Sie sollten weniger Zeit mit nicht stimmigen Projektplänen verbringen und mehr experimentieren.
Ein funktionierendes Produkt ist der beste Statusbericht.
Frei nach dem Agile Manifesto
Geschwindigkeit kann Trumpf sein. Je eher Sie eine Version eines Produkts oder eines Services haben, desto schneller erhalten Sie Erfahrungswerte und eine verbesserte Version.
Das bedeutet aber nicht, dass man immer der Erste sein sollte. Deshalb hast der amerikanische Volksmund dem Sprichwort „der früher Vogel fängt den Wurm“ (im Deutschen heißt dies „Morgenstund hat Gold im Mund“ eine zweite Zeile hinzugefügt:
Die zweite Maus bekommt den Käse
Artikelreihe zu Innovation: Das Warum, Strategien und Arten der Innovation sowie die Umsetzung. Ergänzt um Mythen und Zitate/Sprüche.
Super geschriebener und informativer Artikel :-). Eine sehr gute Aufstellung. In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen
Das freut mich! Nicht alle Artikel sind schon überarbeitet, leider, aber über Empfehlungen freuen wir uns immer …